Kulturzentrum Kalahrdaya in Kalkutta, Indien

Neues Selbstbewusstsein für Kinder aus Dalit-Familien

csm_20131204_Sajuprojektweb1_f59d06d250Ihre Füsse hüpfen im Takt, stampfen den Rhythmus in den Boden. Mit leicht gebeugten Knien, die Oberkörper kerzengerade, folgen sie in grazilen Bewegungen den Klängen der Musik. Was auf den ersten Blick so leicht und mühelos erscheint, ist das Ergebnis vieler Übungsstunden. Konzentriert hören die jungen Mädchen auf die Anweisungen des Lehrers, der im Schneidersitz vor ihnen auf einer kleinen Bank Platz genommen hat. Ihre Gesichter verraten leichte Anspannung. Die Mädchen sind voll konzentriert. «Unsere Zeit ist abgelaufen, aber ihr könnt noch etwas üben, wenn ihr wollt», beendet der Lehrer schliesslich die Trainingseinheit. Also bleiben Sneha, Kotha, Deepa und Sushama noch eine Weile in dem schlichten Übungsraum und wiederholen barfuss, mit farbigen Tüchern um die Hüften, die eben gelernten Schrittfolgen auf dem Steinboden. Durch die geöffneten Fenster weht feuchtheisse Luft herein. Die vier jungen Mädchen stammen aus den Dörfern der Umgebung, sie gehören zur Schicht der Dalits, der«Unberührbaren». Deren Platz in der indischen Kastengesellschaft ist seit Jahrhunderten wie zementiert: am untersten Ende der sozialen Rangordnung. Und das bedeutet zugleich ein Leben in bitterer Armut, in Rechtlosigkeit und Unterdrückung.

Traum von einem anderen Lebencsm_20130412_Saju2_b1c68242a4

 

Die Eltern der Kinder haben keine andere Wahl: Sie müssen sich als Tagelöhnerinnen und Tagelöhner verdingen, um ihre Familien mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Tanzunterricht für die Kinder können sie sich nicht leisten. Umso dankbarer sind die Eltern, dass ihre Mädchen und Jungen bei ihm, dem international bekannten Tänzer und Jesuitenpater Saju George, in die Schule gehen dürfen. In Pater Sajus Tanzunterricht zu kommen, bedeutet für die Kinder von Bakeswar, 40 Rikscha-Minuten vom Zentrum Kalkuttas entfernt, etwas Grossartiges.

Pater Saju unterrichtet die Kinder und Jugendlichen nicht nur in im traditionellen csm_20131204_Saju5_2233290959Tempeltanz Bharata Natyam, sondern auch in Yoga, Musik und Englisch. Es gehe darum, betont er, Kopf, Herz und Seele zu bilden. «All das gibt den jungen Menschen Kraft und ein Zutrauen, dass sie etwas können und wertvoll sind.» Pater Saju hat lange gesucht nach diesem Ort. Als er Bakeswar gefunden hatte, wusste er: Hier wird etwas Neues entstehen. Sein Orden unterstützt ihn dabei, ebenso wie er ihn darin unterstützte, das jahrelange Studium des indischen Tanzes zu meistern. Bedeutende Tänzer waren seine Lehrer, Christen und Hindus. Der von ihnen neu zum Leben erweckte Tanz Bharata Natyam ist mit Indien und seiner hinduistischen Tradition so eng verknüpft wie kaum etwas anderes; er erzählt in unzähligen Figuren und Stilformen jahrhundertelang überlieferte Episoden aus dem Leben hinduistischer Gottheiten.

 

Eine Oase der Ruhe

csm_20131204_Saju4_7a277397f2Noch ist Kalahrdaya im Aufbau begriffen: Vier Häuser aus Ziegelstein gehören dazu, von fleissigen Helfern renoviert und frisch gestrichen. Den Vorbesitzern dienten die flachen Gebäude noch als Ställe und Schuppen. Es gibt zudem fünf Fischteiche auf dem Areal, das die Jesuiten vor einigen Jahren erwarben, und hinter dem Hauptgebäude einen Bach, der durch dschungelartiges Dickicht plätschert. Ein Mangobaum spendet Schatten, um den grossen Gemüsegarten wachsen Palmen. Alles ist grün, gepflegt, einladend: Eine Oase der Ruhe und der Kultur inmitten der vibrierenden, überhitzten Region rund um die Millionenmetropole Kalkutta.

 

 

Bildung als Sprungbrett für ein Leben ohne Armut

Das Schulgebäude konnte auch durch die grosszügige Unterstützung des Rosmary Projekt realisiert werden. Dabei geht es nicht nur um das Gebäude an sich, sondern um das «Investieren» in verborgene Talente. Auf diese Weise gefördert, stehen den heute chancenlosen Kindern und Jugendlichen künftig neue, bisher verschlossene Türen offen.

«Sie können dann selber Stellen finden als Lehrerinnen und Lehrer, Musikerinnen und Musiker oder Schauspielerinnen und Schauspieler. Sie können ihr Leben selbstbewusster in die eigene Hand nehmen, vielleicht eigene Einrichtungen gründen und nachhaltig für ihre Familien sorgen», sagt Pater Saju. «Wir möchten sie darin unterstützen, zu verantwortungsbewussten, sozial engagierten Bürgerinnen und Bürgern heranzuwachsen – mit einem weiten universalen Horizont.»